Nach Art. 93 a I Nr. 4 a GG hat jedermann die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung zu erheben, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 IV (Widerstandsrecht), 33 (Staatsbürgerliche Rechte), 38 (Wahl), 101 (Ausnahmegerichte), 103 (Grundrechte vor Gericht) und 104 (Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung) enthaltenen Rechte verletzt zu sein.
In der juristischen Klausur, sowohl in der Anfängerübung im Öffentlichen Recht (Grundrechte), als auch im 1. Staatsexamen, ist die Verfassungsbeschwerde Prüfungsgegenstand. Falls nach den Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gefragt ist, ist die Zulässigkeit und die Begründetheit zu prüfen.
Die Zulässigkeit folgt dabei einem Schema, das sich wie folgt aufbaut:
Die Verfassungsbeschwerde der X vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 I Nr. 4 a GG, §§ 13 Nr. 8 a, 90 ff BVerfGG müsste zulässig sein. Hierfür müsste X beschwerdefähig sein, ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegen, X beschwerdebefugt sein und der Rechtsweg nach § 90 II BVerfGG erschöpft sein. Form und Frist müssten gewahrt sein.
1. Beschwerdefähigkeit
Die Beschwerdefähigkeit wird in vielen Lehrbüchern und Fallskizzen als Beteiligtenfähigkeit bezeichnet. In einigen Universitäten wird diese Bezeichnung jedoch richtigerweise abgelehnt, da die Verfassungsbeschwerde kein kontradiktorisches Verfahren ist – es stehen sich nicht zwei Beteiligte gegenüber.
Die Beschwerdefähigkeit kann man in a) Parteifähigkeit und b) Prozessfähigkeit unterteilen. Die Parteifähigkeit ist gegeben, wenn der Beschwerdeführer Träger von Grundrechten sein kann. Dies gilt unbestritten für natürliche Personen (ein Sonderrechtsverhältnis für Lehrer, Schüler, Richter usw. wird seit 1950 einhellig abgelehnt) und unter Umständen auch für juristische Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts.
Die Prozessfähigkeit ist in den meisten Fällen unproblematisch. Lediglich bei einer Verfassungsbeschwerde eines Minderjährigen, sollte dieser Prüfungspunkt problematisiert werden. Im Grundgesetz und im Bundesverfassungsgerichtsgesetz findet sich keine Norm, die das Alter des Beschwerdeführers für die Prozessfähigkeit bestimmt. Auch Vorschriften aus anderen Gesetzen (§ 62 VwGO, § 52 ZPO) können nicht herangezogen werden, da die Verfassungsbeschwerde einen eigenen Rechtsbehelf darstellt. Die herrschende Meinung stellt deshalb auf die Grundrechtsmündigkeit des Beschwerdeführers ab. Die Grundrechtsmündigkeit bezeichnet die Fähigkeit, von seinen Grundrechten eigenverantwortlich Gebrauch zu machen. Wann diese Mündigkeit erreicht ist, muss für jeden Grundrechtsträger in dem konkreten Fall bestimmt werden – hier können andere gesetzliche Regelungen (eben die der VwGO und ZPO) herangezogen werden (Indizwirkung). Bei der Glaubensfreiheit kann das Alter so auf 14 bestimmt werden, da ab diesem Alter der Jugendliche religionsmündig wird. Falls eine Grundrechtsmündigkeit abgelehnt wird, ist an eine Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter (bspw. Eltern) zu denken.
2. Beschwerdegegenstand
Der Beschwerdegegenstand muss ein Akt öffentlicher Gewalt sein. In Betracht kommt hier jeder legislative (Rechtssatzverfassungsbeschwerde), exekutive und judikative (Urteilsverfassungsbeschwerde) Akt.
3. Beschwerdebefugnis nach § 90 I BVerfGG
Gemäß § 90 I BVerfGG kann jedermann mit der Behauptung, er sei in durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrecht verletzt, Verfassungsbeschwerde erheben. Die Grundrechtsverletzung muss also möglich sein. Sie darf also nicht schlechterdings, nach jeder in Betracht kommenden Anschauungsweise von vornherein ausgeschlossen sein. Bei der Verfassungsbeschwerde einer juristischen Person ist an dieser Stelle Art. 19 III GG zu erwähnen.
Zudem muss der Beschwerdeführer durch den Akt der öffentlichen Gewalt selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sein:
- Selbst ist der Beschwerdeführer betroffen, wenn er in seinen eigenen Rechten verletzt ist. Dies soll Popularklagen ausschließen.
- Gegenwärtig bedeutet ein aktuelles Betroffensein. Die Betroffenheit darf also nicht fern in der Zukunft liegen. Wenn der Akt öffentlicher Gewalt in der Vergangenheit liegt, ist die Gegenwärtigkeit zu problematisieren: Das Ablehnen der Gegenwärtigkeit würde dazu führen, dass dem Beschwerdeführer keine Rechtsschutzmöglichkeit mehr zur Verfügung steht, trotz eines grundrechtsintensiven Eingriffs. Die Situation stellt sich ähnlich der Fortsetzungsfeststellungsklage im Verwaltungsrecht dar. Die Gegenwärtigkeit ist weit zu verstehen.
- Die Unmittelbarkeit ist häufig bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu problematisieren. Die wenigsten Gesetze sind selbstvollziehend und brauchen deshalb einen Vollzugsakt (Verwaltungsakt). Dieser Verwaltungsakt könnte jedoch mit den verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfen (Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage) angegriffen werden. In früher vertretenen Ansichten wurde deshalb die Unmittelbarkeit abgelehnt, wenn noch ein Vollzugsakt erforderlich war. Heute wird dieser Vollzugsakt nur noch als Wertungsmaßstab herangezogen. Es ist vielmehr beachtlich, ob dem Beschwerdeführer das Abwarten des Vollzugsaktes unzumutbar ist (wobei das Abwarten eines Bußgeldbescheides nie zumutbar ist).
Zudem ist im Rahmen der Beschwerdebefugnis (Urteilsverfassungsbeschwerde) noch darzulegen, dass das Bundesverfassungsgericht keine Superrevisionsinstanz ist. Eine Superrevisionsinstanz ist ein Gericht, das selbst Entscheidungen eines höchstinstanzlichen Gerichts aufheben kann. Das Bundesverfassungsgericht überprüft aber gerade nicht die Auslegung und Anwendung einfach-gesetzlicher Normen durch Fachgerichte. Denn die Fachgerichte (ordentliche (Zivil-)Gerichte, Verwaltungsgerichte) sind näher am einfach-gesetzlichen Recht. Das Verfassungsgericht prüft nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.
Vor Streitigkeiten eines Zivilgerichts ist zudem noch auf die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten einzugehen. Hierbei ist zu problematisieren, ob der Richter bei Streitigkeiten zwischen Privaten überhaupt Grundrechte beachten musste.
4. Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 II BVerfGG
Die Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn der Rechtsweg erschöpft ist.
5. Form und Frist gemäß § 93 I, III BVerfGG
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 93 I BVerfGG binnen 1 Monates zu erheben. Bei der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz beträgt die Frist 1 Jahr (Berechnung nach §§ 187 ff BGB)