Hat der Bundespräsident ein Prüfungsrecht bei der Ausfertigung von Gesetzen?

Nach Art 82 I GG werden die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt. Fraglich ist, ob dem Bundespräsidenten bei der Ausfertigung ein Prüfungsrecht zusteht.

 

Das formelle Prüfungsrecht

Das formelle Prüfungsrecht umfasst die Befugnis, ein Gesetz auf seine formelle Verfassungsmäßigkeit (Gesetzgebungskompetenz, Verwaltungskompetenz, Gesetzgebungsverfahren) zu überprüfen. Dieses Recht wird dem Bundespräsidenten unstreitig zuerkannt. Dafür spricht der Wortlaut des Art. 82 I GG der ausdrücklich davon spricht, dass der Bundespräsident nur Gesetze ausfertigt, die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen sind (also formell ordnungsgemäß).

 

Das materielle Prüfungsrecht

Sehr umstritten ist dagegen das materielle Prüfungsrecht des Bundespräsidenten – dieses umfasst die Befugnis, ein Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit (materiell, inhaltlich zu überprüfen).

1. Der Bundespräsident hat ein materielles Prüfungsrecht (tvA)

  • Dafür spricht der Wortlaut des Art. 82 I GG: Ein Gesetz ist nur ordnungsgemäß zustande gekommen, wenn es auch materiell verfassungsgemäß ist.
  • Nach Art. 1 III GG ist der Bundespräsident an Recht und Gesetz gebunden.
  • Die Ausfertigung eines materiell verfassungswidrigen Gesetzes würde eine Pflichtverletzung des Bundespräsidenten bedeuten, gegen die die Präsidentenanklage nach Art. 61 GG eröffnet wäre.
  • Ausgehend von einer historischen Interpretation steht dem Bundespräsidenten ein materielles Prüfungsrecht zu, da ein solches auch bereits dem Reichspräsidenten zustand.
  • Zudem wird durch den Bundespräsidenten eine „vorbeugende Normenkontrolle“ durchgeführt.

2. Der Bundespräsident hat kein materielles Prüfungsrecht (tvA)

  • Art. 82 I GG steht am Ende der Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren und umfasst damit nur das formelle Prüfungsrecht.
  • Allein das Bundesverfassungsgericht hat das Verwerfungsmonopol. Eine „vorbeugende Normenkontrolle“ ist überhaupt nicht nötig – hierfür steht der vorläufige Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung.
  • Aus der historischen Vergangenheit ergibt sich die schwache Stellung des Bundespräsidenten als Staatsnotar. Der Bundespräsident hat nach dem GG eine schwache Stellung
  • Der Bundestag hat als Gesetzgebungsorgan eine Einschätzungsprärogative. Diese darf nicht unterlaufen werden.

3. Der Bundespräsident hat ein materielles Prüfungsrecht nur bei evidenten Verfassungsverstößen (tvA)

  • Der Bundespräsident darf nicht zur Ausfertigung von klar verfassungswidrigen Gesetzen gezwungen werden. Bei streitigen Gesetzen muss er aber die Legislativkompetenz des Bundestages beachten (vorzugswürdige Meinung).

 

Das politische (sachliche) Prüfungsrecht

Dem Bundespräsidenten steht unstreitig kein politisches Prüfungsrecht zu. Er ist zu politischer Neutralität verpflichtet.

 

 

 

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